Bertschi Emil, * 13. 3.1910 Suhr, † 19. 12. 1970 Zofingen

Maler und Grafiker. Ausbildung: Lithographielehre bei Trüb & Co. in Aarau, Zeichenlehrerpatent an der Gewerbeschule in Basel.

1951 Gründung der Künstlervereinigung «Freie Gruppe», Zofingen (Mitglieder: Emil Bertschi, Karl Blatter, Heinrich Gisler, Werner Holenstein, Willy Müller-Brittnau, Fritz Strebel, Heiny Widmer)

Emil Bertschi, Abdankungsrede in der Kirche Suhr (aus: Aargauer Almanach auf das Jahr 1975. Verfasser: Heiny Widmer und Mitarbeiter; etwas gekürzt und bearbeitet von A. G.)

Am vergangenen Samstag ist unser Freund Emil Bertschi gestorben. Wer ihn kannte, weiss, dass er ein stiller Mensch war, der in jenem merkwürdigen Zwischenbereich siedelte, in dem der versöhnliche Outsider zu Hause ist. Sein umgängliches Wesen, seine verschmitzte Originalität, sein gescheiter Witz und seine spürbare Anteilnahme sicherten ihm die Freundschaft und Anhänglichkeit von Menschen aus den verschiedensten Kreisen.

Seine Offenheit und seine Kraft, sich dem ändernden Zeitgeist anverwandeln zu können, spürten auch die jungen Menschen, und so existierte denn das Generationenproblem für ihn nicht. Man sah ihn mit den 20jährigen in fröhlicher Runde und in ernster Diskussion. Man schätzte seine Erfahrung, die nie penetrant und belehrend war, im Kreise der Alten.

Nun ist er gestorben, und seine Freunde werden sich daran gewöhnen müssen, dass sein behutsamer Schritt und sein gefurchtes Gesicht, die hagere Gestalt nie mehr auftauchen werden.

Emil Bertschi war ein unermüdlicher Vernissagebesucher. Nicht Bilder und andere Werke sah er dort, sondern Menschen, die ihm ungleich wichtiger waren als alle Kunst der Welt. Er bewunderte von der relativen Sicherheit seines Outsidertums und seines Alters her die Frauen und scherzte sich über die Tatsache hinweg, dass ihm als Künstler Vernissagen nie oder zumindest sehr selten gegönnt waren. Er war einer der wenigen Menschen mit Charme. Er schien vielen als der Zufriedene, Abgeklärte, als ein Mensch, der die Stürme genutzt und an ihnen gewachsen war, Einsicht errungen hatte.

Als ausgebildeter Zeichenlehrer unterrichtete er kurze Zeit an einer Basler Schule. Da er aber ein Pädagoge im weitesten Sinn des Wortes war und an die Erziehung des Menschengeschlechtes durch die Kunst glaubte, konnte er sich im didaktisch-verengten Schacht der praktischen Schule nicht wohl fühlen. Bittere Jahre als freier Künstler folgten. „Die magere Periode“, wie er sie nannte. Schliesslich fand er Unterschlupf in der Firma Ringier AG. Im Grunde war dies ein Glück für ihn. Nur eine grosse Firma findet einen Platz für einen solchen Menschen, und Bertschi anerkannte dies in seiner vorurteilsfreien, grosszügigen Art und war dankbar. Er war dort bis zu seinem Tode tätig.


E. Bertschi vor Motiv und Gemälde „Zusammenfluss Suhre/Wyna“ (1936) posierend

Zusammenfluss Suhre/Wyna, Oel, 27cm x 28cm, sign. E. Be. 1936

Am Anfang seiner künstlerischen Werke stehen kleine, versponnene Landschaften, die voll malerischen Reizes sind. Dann verwandelte und entwickelte sich sein Schaffen zu subtilen, vielschichtig verwobenen Geflechten, die dem realen Abbild als Paysage d‘ âme entrückt sind. Unter diesen Blättern und Bildern gibt es solche von ausserordentlichem Reiz, von erlesener Schönheit.

Im übrigen blieb Bertschis künstlerisches Schaffen fast ohne Echo. Kleinere Charaktere pflegen Erfolglosigkeit, Unglück, bescheidene Stellung in der Gesellschaft mit Hass und Intrige zu beantworten. Emil Bertschi hat alle Erniedrigungen, alles Missverständnis ergeben hingenommen. Er wusste, dass Annahme des Schicksals Erlösung vom Schicksal bedeutet.

Gegen das Ende seines Lebens war er eine unverwechselbare Erscheinung geworden. Sein skurriler Humor, sein bizarrer Hang zu unerwarteten Wendungen in der Konversation waren geschätzt. Sein natürlicher Anstand hatte ihm die Türen zu vielen Persönlichkeiten geöffnet, und oftmals wurde man gebeten, bei Einladungen unbedingt den Peintre mitzubringen. „Peintre“ ist denn auch die treffendste Bezeichnung geblieben, die diese Existenz gefunden hat. In diesem Wort treffen und versammeln sich der ferne Hauch französischer Eleganz, domestiziert durch dörflich-kultiviertes Suhrertum, der glaubhafte Klang von Kunst, ein bisschen Nonchalance und schliesslich ein erträgliches, weil erhöhtes Bohemientum.

Wer mit ihm eine Reise tat, erlebte ihn als ergriffenen Deuter von Landschaften und Kunstwerken, als verträumten Geniesser der guten Dinge und als aphorisierender Kommentator der vielen Zu- und Zwischenfälle einer solchen Fahrt. Nun hat er seine letzte Reise angetreten. All seine Freunde und Bekannten werden ihn sehr vermissen.