Widmer Heiny, *13. 1. 1927 Wettingen, †10. 4. 1984 Aarau
Bekenntnis zur Schweizer Kunst: Heiny Widmer zum Gedenken (NZZ, 12. 04. 1984, verfasst von Dr. Richard Häsli)
Wie an dieser Stelle bereits gemeldet, ist am 10. April in Aarau der Konservator des Aargauer Kunsthauses, Heiny Widmer, nach längerer Krankheit in seinem 57. Altersjahr gestorben.
Heiny Widmer, von seiner Ausbildung her Lehrer und Maler mit kunstgeschichtlichen Studien im Hintergrund, ist – nach jahrelanger Tätigkeit an der Kantonsschule Aarau und als Geschäftsführer des Schweizerischen Werkbundes – 1970 zum Leiter des Kunsthauses Aarau (in der Nachfolge von Guido Fischer) berufen worden. Dreizehn Jahre waren ihm an diesem Ort vergönnt: er hat sie genutzt, als hätte er um die kurze Zeit seines Wirkens gewusst, mit zielstrebiger Hast, mit energischem Eifer, mit tatkräftigem Idealismus.
Die Trilogie der Ausstellungen, die Heiny Widmer seit Herbst 1983 in seinem Hause zeigte, erklärt sich im Rückblick als Bekenntnis und Bilanz der Bemühungen des Konservators, Sammlers und Ausstellungsmachers: als Bekenntnis zur Kunst der Schweiz, das zunächst von der Not des Budgets diktiert gewesen sein mochte, sich aber im Laufe der Zeit als immer leidenschaftlicheres und kenntnisreicheres Engagement durchsetzte; und als Bilanz, die dem Museum in der Mitte des Dreiecks mit den internationalen Museumsspitzen Bern-Zürich-Basel den Superlativ der dichtesten Dokumentation der künstlerischen Strömungen in unserem Land seit Cuno Amiet bestätigt.
Ständig als Rutengänger im Spannungsfeld zwischen offizieller und avantgardistischer Kunst unterwegs, hat Heiny Widmer einen ganz besonderen Spürsinn für Outsider, Sonderlinge und Oppositionelle in der Region und in der Gesamtschweiz entwickelt und tief beeindruckende Begegnungen zum Beispiel mit Emma Kunz oder Ilse Weber vermittelt; er hat immer wieder Vergessenen und Übersehenen zu ihrem Recht auf Gesehen-Werden verholfen, beispielsweise Theodor Bally.
Solche Aufmerksamkeit gegenüber einsamen Einzelleistungen förderte sein Bedürfnis nach Überblick und Einordnung; eine der letzten solcher Bemühungen – unter Mitwirkung des Kunsthistorischen Seminars der Universität Basel – galt (1981) den «Künstlergruppen der Schweiz».
Im zweibändigen Sammlungskatalog des Aargauer Kunsthauses schrieb er: Der Beitrag, den die Schweizer Künstler an die internationale Entwicklung geleistet haben, sei, gemessen an der Grösse und Bevölkerungszahl des Landes, erstaunlich. Und: Im Moment habe das Klima und dementsprechend die Produktion der Schweizer Künstler einen vorher im Grunde nie dagewesenen, hohen Stand erreicht. Dass man solche Beobachtungen an einem einzigen Ort, im Rahmen einer einzigen Sammlung nachprüfen und bestätigen kann, ist die Leistung, ist das Verdienst von Heiny Widmer.
Heiny Widmer – ein Leben für die Kunst
1927 in Wettingen geboren, als jüngstes Kind von Heinrich Widmer, Lehrer in Wettingen und Fanny Widmer, geborene Matter. Geschwister sind Gunhilde, Adelheid und Kuno.
Schulzeit in Wettingen, anschliessend Lehrerseminar im Kloster Wettingen bis 1947.
Um 1950 Studien in Paris, Malunterricht bei André Lhote; starke Beeinflussung durch dessen Malerei.
Tätigkeit als Lehrer an Primar-, später Bezirksschulen im Kanton Aargau.
1957 Bekanntschaft mit Hedwig Hadorn aus Kölliken, Tochter der Wirtsleute Fritz und Lina Hadorn vom Restaurant „Hadorn“ in Kölliken; ein Jahr später Heirat und Wohnsitznahme in Zofingen
Stelle als Zeichenlehrer an der Bezirksschule in Zofingen, Mitglied der Regionalplanungsgruppe Wiggertal und Mitinitiant des Zofinger Städtlifestes.
1962 Berufung als Zeichenlehrer an die Kantonsschule Aarau.
1964 Geburt der Tochter Salome, 1966 folgt Sohn Simon.
1965 längerer Aufenthalt in der Provence. Intensive Auseinandersetzung mit dieser lichtdurchfluteten Landschaft. Es entstehen zahlreiche Bilder.
1971 Wahl zum Kurator des Aargauer Kunsthauses in Aarau.
1972 Die Familie bezieht ein eigenes Haus in Kölliken, dem Standort seines Ateliers (ehemaliger Ausstellungspavillon der SAFFA von 1958).
Heiny Widmer und seine Frau pflegen hier nun einen grossen Freundeskreis. Das Haus ist stets voller Gäste – Kunstfreunde und Künstler aus allen Sparten – die
von Hedda Widmer aufs Köstlichste kulinarisch verwöhnt werden.
1983 schwere Erkrankung. Heiny Widmer stirbt am 10. April 1984 in seinem Heim in Kölliken.
Mit seiner Wahl zum Kurator zieht sich Heiny Widmer als Maler aus der Öffentlichkeit zurück und malt nur noch „zu seinem eigenen Vergnügen“. Die Förderung der Aargauer und Schweizer Künstler geht für ihn nicht zusammen mit einer eigenen Malerkarriere. Er setzt sich für die Schweizer Kunst und die unbekannten „Outsider“ unter den Künstlern ein. Es entsteht eine einzigartige Sammlung von Schweizer Kunst im Aargauer Kunsthaus in Aarau.
Für den wichtigen Schweizer Maler Wilhelm Schmid (1892 – 1971) kommt die Förderung durch Heiny Widmer zu spät. Dessen Vorgänger, Guido Fischer, hat den Künstler zu seinem 70. Geburtstag im Aargauer Kunsthaus in Aarau 1963 mit einer grossen retrospektiven Ausstellung geehrt. Auch Heiny Widmer ist sich der Bedeutung dieser Persönlichkeit bewusst. So hat er den betagten Künstler 1971 – unverzüglich nach seinem Amtsantritt – an dessen Wohnort auf dem Monte Brè besucht und mit ihm vereinbart, ein Werkverzeichnis zu erstellen, sowie den Nachlass zu regeln.
Eine Woche nach diesem Besuch stirbt Wilhelm Schmid. Der Nachlass geht schliesslich an die Stadt Lugano, wo er seither in einem Keller ruht. Immerhin wird das Wohnhaus des Künstlers zu einem Museum umgestaltet, so dass Teile seines Schaffens der Öffentlichkeit zugänglich sind.
Eine seiner grössten Entdeckungen ist Emma Kunz. Die Ausstellung „Emma Kunz“ wird sehr kontrovers diskutiert. Ein regelrechter Medienkrieg begleitet sie. Heiny Widmer wird als Visionär gelobt und als „Verschleuderer von Steuergeldern“ beschimpft. Dies alles geht nicht spurlos an ihm vorbei und zehrt an seiner Gesundheit.
Schliesslich führt Heiny Widmer auch die jährlich stattfindenden Kunstreisen mit dem Aargauer Kunstverein zu grossem Erfolg. Er leitet sie bis zu seinem Tode.